Brief an Fraktionsspitzen zur Einrichtung einer Enquete-Kommission
Prof. Dr. Andrew Ullmann (gesundheitspolitischer Sprecher der FDP Bundestagfraktion): „Wir als Fraktion der Freien Demokraten haben uns klar für eine Enquete-Kommission positioniert. Allen Verantwortlichen ist klar, dass es eine Aufarbeitung geben muss, . Ohne Aufarbeitung kann die nächste Pandemie uns als Gesellschaft irreversibel und katastrophal schädigen. Das dürfen wir als Regierungskoalition nicht zulassen. Deswegen treten wir an die Fraktionsspitzen heran. Die Koalitionspartner sollten und müssen noch einmal intensiv über eine Aufarbeitung nachdenken und Farbe bekennen. Noch ist Zeit zum Handeln.“
Wolfgang Kubicki (Stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP): „Es gab in der Pandemie sicherlich selten einfache Entscheidungen. Es gab jedoch manche politischen Entscheidungen, die unter fragwürdigen Umständen zustande gekommen sind. Unsere Lernerfahrung sollte sein, dass wir herausfinden, warum Stimmen, die sich im Nachhinein als richtig erwiesen haben, nicht in der Entscheidungsfindung berücksichtigt wurden.
Vielerorts wird unterschätzt, wie tief die Enttäuschung, wie groß die Frustration und wie fortgeschritten die Abwendungstendenzen von Teilen unserer Gesellschaft sind. Einige Maßnahmen, wie 2G, haben aus meiner Sicht schwere gesellschaftliche Schäden verursacht und Spaltungstendenzen vertieft. Es ist unsere Aufgabe, mit einer sauberen und vorbehaltlosen Aufklärung dazu beizutragen, dass Gräben wieder zugeschüttet werden können, damit Heilung ermöglicht wird.“
Wortlaut des Briefes:
Berlin, 18.03.2024
Sehr geehrte Frau Dröge,
sehr geehrte Frau Haßelmann,
sehr geehrter Herr Dr. Mützenich,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir brauchen eine Enquete-Kommission “Pandemie”. Davon sind nicht nur wir überzeugt, davon haben wir unsere Fraktion überzeugt und wir möchten auch Sie und Ihre Fraktion überzeugen. Wir haben drei Jahre in einem gesellschaftlichen Zustand gelebt, der dringend aufgearbeitet werden muss. Das meinen wir nicht, um einem Maßnahmenrevisionismus Vorschub zu leisten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir nicht gründlich mit wissenschaftlicher Hilfe aufarbeiten, welche Maßnahmen notwendig und sinnvoll waren, welche Entscheidungsprozesse legitim und demokratisch angemessen waren, welche wirtschaftlichen Einschnitte vertretbar und effizient waren, dann kann es passieren, dass schnell das Vergessen Einzug hält und eine gesellschaftliche Heilung nicht eintreten kann. Damit ginge auch einher, dass wir bei der nächsten Krise wieder von vorne anfangen müssen, Fehler wiederholt und Grundrechte abermals über Gebühr eingeschränkt werden.
Damit meinen wir auch – aber nicht nur – unsere parlamentarische Arbeit. Wenn wir unsere Verantwortung als Parlamentarierinnen und Parlamentarier ernst nehmen, dann müssen wir nicht nur einen Modus Operandi finden, in dem wir als Parlament in einer (Gesundheits-)Krise weiterhin die maßgeblichen Entscheidungen treffen. Dann müssen wir auch aktiv dafür Sorge tragen, dass die Gesellschaft wieder zusammengeführt wird. Es darf nicht noch einmal vorkommen, dass wir in einer möglichen kommenden Krisensituation unsere Rechte und Pflichten als Parlament an die Exekutive abgeben, dass Grundrechte auch wegen schwacher Datenlage in Mitleidenschaft gezogen werden, die Bildungschancen unserer Kinder geschmälert werden und politische Entscheidungsträger selbst gesellschaftliche Spaltungstendenzen befördern.
Wir sehen die Gefahr, dass neu auftretende Problemlagen die Bereitschaft zu einer sicher schmerzhaften Selbstprüfung schmälern. Dennoch sollten wir den zum Teil hochproblematischen politischen Umgang mit der Mega-Krise Corona als Chance begreifen. Es ist enorm wichtig, diese Krise im Rahmen einer ernsthaften Aufarbeitung zu nutzen, um dort aufgezeigte Mängel in der Resilienz unseres Bildungs-, Sozial-, Wirtschafts- und Gesundheitssystems sowie des gewaltengegliederten Verfassungsstaates umfassend zu identifizieren und einer gesellschaftlich verträglichen Lösung zuzuführen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, dass der Arbeitsaufwand einer Enquete-Kommission groß ist. Aber wir bitten Sie von ganzem Herzen und aus voller Überzeugung: Lassen Sie uns auf der Grundlage des von der FDP-Fraktion vor einem Jahr beschlossenen Papiers zur Einsetzung einer Enquete-Kommission in Gespräche treten und gemeinsam für das Ziel einsetzen, damit wir uns nicht in ein, zwei oder auch zehn Jahren vorwerfen müssen, dass wir nichts getan haben, als wir die Möglichkeit dazu hatten.
Mit freundlichen Grüßen
Andrew Ullmann Wolfgang Kubicki